02 März 1997

Sechste Reise

Der Himmel erschien unendlich weit und war mit kleinen, aneinanderhängenden Wölkchen bedeckt, ein Spiel in silbergrauen und fliederlila Farbtönen. Die gelblichen Felsbrocken der kleinen Erhebung erschienen Adlerfrau diesmal gewaltig und sehr kantig. Erst betrachtete sie den Einstieg für einen Moment, und gleich darauf verwandelte sie sich in das neunjährige Mädchen, das sie einmal gewesen war und begann, um das Loch in der Erde herum zu tanzen.

Schließlich sprang sie mit einem Satz hinein und glitt in schnellem Tempo mit den Füßen voran abwärts. Die Wände des Eingangstunnels waren aus glatter, schwarzer, glitschiger Erde, und sie rutschte immer weiter und weiter. Mal war der Weg steiler und sie rutschte schneller, mal wurde der Untergrund flacher, und dann ging es langsamer vorwärts. Der Tunnel machte auch Biegungen nach Rechts und nach Links. Endlich öffnete das Mädchen die Augen und sah dämmriges Licht vor sich, und immer noch ging es weiter hinab.

Einmal hielt sie auf ihrer Rutschpartie inne und sah sich um, es gab aber gar nichts Besonderes zu sehen. Deshalb überließ sie sich wieder der Abwärtsbewegung und landete ein Stückchen weiter mit einem Plumps auf dem Boden der Eingangshöhle. Auch hier war das Licht immer noch dämmrig und grau. Das Mädchen ging etwas in der Höhle herum und langweilte sich schon bald, denn es gab einfach nichts Besonderes zu sehen. Vor lauter Langeweile begann sie, zum Rhythmus der Trommel Flic-Flacs quer durch die Höhle zu machen, immer von einer Ecke in die andere und dann wieder zurück. Das freie Körpergefühl, das dadurch entstand, bereitete ihr solche Lust, dass sie danach gleich noch ein paar Räder schlug.

Endlich beschloss sie, sich wieder in die erwachsene Adlerfrau zu verwandeln, und im nächsten Moment fiel ihr Blick auf einen bestimmten Höhlenausgang. Es war der Pflanzengang, und sie ging hin und ein Stück hinein, um sich dann auf dem grünen, duftenden Pflanzenteppich niederzulassen. Nach einer Weile erschien das Fliegenpilzmännlein, das sie auf ihrer ersten Reise schon kennen gelernt hatte. Adlerfrau begrüßte den kleinen Kerl und stellte sich auch noch mal vor und fragte nach einer Botschaft. Alles, was sie verstand, war wieder einmal dieser Satz: „Alles wird gut.“

Adlerfrau fragte nach dem Namen des Fliegenpilzwesens, und er antwortete auch. Aber sie verstand ihn nicht richtig, sondern hörte nur Wortfetzen, die wie "Geist", "Fliegengeist" oder "Pflanzengeist" klangen. Dann fragte sie ihn noch nach einer Gabe für sie, und er hielt ihr charmant seinen Hut hin und sagte, sie solle doch mal abbeißen. Dazu fehlte ihr aber der Mut, und im nächsten Augenblick rief die Trommel auch schon zur Umkehr, und sie musste sich verabschieden.
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