07 Januar 1997

Zweite Reise

Dieses Mal waren die Steine, die auf dem Hügel in der Nähe des Eingangs zur Unteren Welt lagen, nicht vereist. Im Gegenteil, ein Hauch von Frühling schien in der Luft zu liegen. Blühte dort nicht sogar ein gelber Winterling in einer Ritze? Und da war doch grade ein kleiner Käfer verschwunden!

Die Steine waren immer noch feucht, und es war glitschig darauf zu gehen. Adlerfrau betrat die Öffnung und fand sich in einem Gang wieder, dessen Boden aus glattem Beton zu bestehen schien. Die gelblichen Wände des Tunnels waren gewölbeartig roh behauen, Feuchtigkeit schimmerte darauf. In gleichmäßigen Abständen steckten Fackeln im Fels und beleuchteten ihr den Weg.

Zuerst konnte sie noch aufrecht gehen, dann musste sie sich bücken, immer tiefer, am Ende sogar auf dem Bauch robben, bis auch damit Schluss war und es nur noch durch ein Mauseloch weiterging. Da verwandelte sich Adlerfrau kurzerhand in eine Maus und huschte so den Gang weiter entlang. Irgendetwas war seltsam mit dem Boden unter ihren Füßen. Sie bemerkte, dass er immer heißer wurde, je weiter sie vorankam, und von vorne flackerte Feuerschein.

Der Gang endete in einer großen Höhle, wo ein riesiges Feuer brannte, welches fast den gesamten Raum auszufüllen schien. Adlerfrau sah spitzige Gestalten in dem Feuer tanzen und schaute ihnen zu, bis sie die Wesen nicht mehr von den Flammen unterscheiden konnte. Dann fand sie einen Weg, der dicht an den Wänden entlang um das Feuer herum führte und entdeckte einen Ausgang. Dieser Tunnel war abermals so, wie der erste am Anfang gewesen war. Adlerfrau hatte sich wieder zurück verwandelt und trug jetzt ein weites, bodenlanges und schweres, schwarzes Gewand und ging majestätisch und mit großen Schritten voran.

Nach einer Weile wurde ihr das aber zu langsam, und so begann sie zu fliegen. Der Gang war zu schmal, um die Arme auszubreiten, also streckte sie diese nach vorne und schnellte vorwärts wie ein Pfeil. Der Tunnel machte mit einem Mal eine scharfe Biegung nach oben, und nachdem sie ein Stück aufwärts geflogen war, schoss sie wie eine Fontäne ins Freie und landete sanft und wie schwebend auf einem Bergplateau.

Hier wuchs zartes, grünes Gras wie im Frühling, und überall dazwischen lag auch noch Schnee, sodass ein fast gleichmäßiges Muster aus Grün und Weiß entstanden war. Adlerfrau schritt den Rand des rechteckigen Plateaus ab und spähte dabei in die Runde. In großer Ferne sah sie Hügelketten in bläulichem Dunst. Dann sammelte sie irgendwelches Brennmaterial zusammen und entzündete sich ein kleines Feuer.
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